Wohin gehst du, Waggonbau Niesky?
Jeden Dienstag Nachmittag versammeln sich seit November Beschäftigte der ELH Waggonbau Niesky GmbH und Unterstützer zur Mahnwache vor dem Werkstor.
Niesky. Seit Mitte November bietet sich vor dem Tor des Nieskyer Waggonbau-Betriebes jeden Dienstag Nachmittag dasselbe Bild: Männer und Frauen, einige von ihnen in Arbeitskleidung, gruppieren sich im weiten Kreis um eine Feuertonne. Einige von ihnen halten brennende Fackeln in den Händen. Manchmal ist ein Trommler vor Ort, der seine beiden Schlaginstrumente auf einem Fahrrad-Anhänger transportiert. Zwischendurch tauchen auch rote Jacken mit der Aufschrift IGM für IG Metall auf. Doch anders als sonst, wenn die Gewerkschaft zu Aktionen vor die Werkstore ruft, erklingt keine laute, fordernde Musik. Und auch die Ansprachen, die zu Beginn der Versammlungen gehalten werden, sind eher kurz.
Die Banner am Werkstor machen deutlich, was die Beschäftigten des Nieskyer Waggonbaus vermissen und fordern.
Fast jedes Mal mit dabei ist Peter Jurke, der Betriebsratsvorsitzende der ELH Waggonbau Niesky GmbH – diese Bezeichnung trägt das Unternehmen seit seiner Übernahme durch die slowakische Tatravagonka s.a. im Jahre 2018. Zuvor hieß es bereits Deutsche Bahn WBN, Deutsche Waggonbau AG Werk Niesky oder auch VEB Waggonbau Niesky. Die Nieskyer Waggonbauer produzierten schon unter vielen Dächern – doch noch nie, darin ist sich Peter Jurke mit den anderen Versammelten einig, war die Situation so prekär wie in diesen Tagen. „Was wir hier machen, hat mit dem Warnstreik vom Sommer 2021 nichts zu tun“, sagt der Vorsitzende der Arbeitnehmervertretung und macht durch die Betonung deutlich, dass ihm diese Aussage sehr wichtig ist. Denn: „Bei einem Warnstreik geht es um finanzielle Forderungen. Das ist hier und jetzt nicht der Fall. Hier geht es um die Zukunft des Unternehmens!“
Doch warum sieht Peter Jurke diese als gefährdet an? „Das liegt daran, dass wir seit über einem Jahr keinerlei Kontakt mehr zum Eigentümer des Betriebes, dem Tatravagonka-Vorstandsvorsitzenden Alexej Beljajev, haben. Wir haben keine Kenntnisse über die Pläne für den Nieskyer Betrieb, über seine Perspektive innerhalb des Konzerns.“
Auch die Bevollmächtigte der IG Metall Ostsachsen, Eileen Müller, sorgt sich um den traditionsreichen Industriestandort: „In den letzten Monaten sind bereits mehr als 100 Beschäftigte aus Niesky weggegangen. Junge, hervorragend ausgebildete Fachleute, die jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen.“ Bei insgesamt 370 Beschäftigten – diese Zahl wurde beim Warnstreik im Juli 2021 genannt – eine exorbitant hohe Zahl. Kaum nachvollziehbar, dass der Eigentümer dies einfach reaktionslos geschehen lässt. Selbst Versuche der sächsischen Landesregierung zur Kontaktaufnahme blieben lange erfolglos. Unlängst gab es immerhin die Meldung, dass auf dieser Ebene Gespräche in Aussicht stehen. Inwieweit dies zur Hoffnung für den Standort berechtigt, bleibt noch unklar. Wenig verwunderlich vor diesem Hintergrund, dass auch eine Anfrage des Niederschlesischer Kurier bei Tatravagonka keine Antwort bekam.
Doch vielleicht steckt ja hinter all dem auch ein Kalkül? Hat Tatravagonka den Nieskyer Waggonbau womöglich nur übernommen, um den Markt zu „bereinigen“ und vom hiesigen Know-how zu profitieren? Immerhin gilt die ELH Waggonbau Niesky GmbH bislang noch als letzter verbliebener Güterwagenhersteller Deutschlands. Ende 2023 läuft die vereinbarte fünfjährige Beschäftigungsgarantie aus. Freilich können all diese Überlegungen nicht mehr als Spekulation sein. Fakt ist jedoch, dass sich die Nieskyer Waggonbauer von ihrer slowakischen „Mutter“ schon seit längerer Zeit ungerecht behandelt fühlen. So seien ihnen bereits 2021 Versäumnisse zur Last gelegt worden, die in Wirklichkeit auf die Kappe der Unternehmensleitung gingen: „Es gibt keine vernünftigen Zulieferstrukturen mehr“, hatte Peter Jurke anlässlich des damaligen Warnstreiks gesagt. „Unkontrolliert und unstrukturiert“ würden Aufträge für die Fertigung von Einzelteilen ins Ausland vergeben. Die Folge: Fast an jedem Teil müssten die Nieskyer Beschäftigten noch einmal Hand anlegen. Der dadurch verursachte zeitliche Mehraufwand werde der Belegschaft als „Unproduktivität“ angekreidet.
Dabei gäbe es nach Ansicht von Peter Jurke und Eileen Müller für den Nieskyer Waggonbau durchaus einen gangbaren Weg in die Zukunft. Niedergeschrieben hat diesen ein „Zukunftsteam“ aus leitenden Mitarbeitern in einem „Sofortprogramm“, auf das es ebenfalls noch keinerlei Reaktion seitens Tatravagonka gibt. Darin heißt es unter anderem: „Der Waggonbau Niesky ist mit seiner hochwertigen Qualitätsproduktion Teil der strategischen, systemrelevanten Infrastruktur und wesentlich für die industrielle Souveränität unseres Landes.“ Und um dies zu unterstreichen, werden sich die Waggonbauer auch künftig jeden Dienstag vor dem Werkstor versammeln – bis es endlich eine Antwort gibt. So oder so …
Nach Redaktionsschluss ...
erreichte uns vom Nieskyer Citymanager André Schulze die Mitteilung, dass sich die Innenstadthändler mit den Waggonbauern solidarisieren und mit Plakaten an ihren Läden darauf aufmerksam machen wollen. In diesem Zuge soll auch die wöchentliche Mahnwache am kommenden Dienstag, 21. Februar, anders ablaufen als sonst: Geplant ist, sie in Form eines Umzuges durch die Innenstadt, der 15.30 Uhr am Platz der Jugend beginnt, durchzuführen. Allerdings bedarf diese Aktion noch der Genehmigung.
Kommentare zum Artikel "Wohin gehst du, Waggonbau Niesky?"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Hallo, ich bin im Waggonbau Niesky schon 50 Jahre. Aber was die Geschäftsführung mit Herrn Matúš Babík Geschäftsführer angibt, entspricht nicht der Wahrheit, in den letzten 5 Jahren ist nichts passiert, außer dass von 2 Staplern einer wieder instandgesetzt wurde.
Keine Reparaturen am Wassernetz, kein Reparaturen an der Fuhrparktechnik, an Gebäuden und so weiter. Es werden Fremdfirmen nicht oder schleppend bezahlt, so dass sie noch kommen, wenn mit Vorkasse Geld eingeht.
Es gibt noch mehr Ungereimtheiten...
Mfg Mischu