Ying und Yang in Niesky noch nicht im Gleichklang
Kathrin Uhlemann – hier mit dem Rad vor der Niederschlesischen Magistrale – hat sich auch in Sachen der Bahn (Tetis-Teststrecke) einige Ziele gesteckt. Foto: Tine Jurtz
In der „repräsentativen Demokratie“ werden politische Entscheidungen nicht mittels Volksabstimmungen getroffen, sondern sind an gewählte Repräsentanten delegiert, auf unterer Ebene in Deutschland dem Gemeinde- oder Stadtrat. Auch unter dem Eindruck des Erfolgs zügiger Entscheidungsmodelle z.B. in China nimmt der Druck zu, Entscheidungen zu „verschlanken“ – das Beispiel Niesky zeigt Grenzen auf.
Niesky. Nieskys neue Oberbürgermeisterin Kathrin Uhlemann hat wie alle tatkräftigen Menschen Aufbruchstimmung erzeugt und zugleich auch Unmut und Gegenwehr auf den Plan gerufen. Die Gegensätze Ying und Yang müssen letztlich immer erst ein Gleichgewicht finden. Das scheint in Niesky noch nicht eingetreten. Ein Intimkenner der Nieskyer Lokalpolitik beschreibt es gegenüber der Redaktion so: „Kathrin Uhlemann wird als vorwärts stürmendes Pferd wahrgenommen, aber manchmal braucht es an der Spitze eben auch den Kutscher, der das Pferd bändigt und aufpasst, dass auf unruhiger Fahrt keine Ladung verlorengeht.“ Das Rathaus krempelte sie innerhalb weniger Monate um, ließ mehrere neue Stellen ausschreiben. In der Verwaltung haben manche Spaß an neuen Aufgaben, andere Klagen über bislang nicht gekannten Stress und Anforderungen.
Und im Hintergrund schwebt die eine große Entscheidung der kommenden Jahre über der Stadt, über die Kathrin Uhlemann bei Gelingen auch ihren politischen Aufstieg nach Dresden finden könnte: Kommt die Eisenbahnteststrecke Tetis, bei der aber mit ihrem Grund und Boden auch Hähnichen und Rothenburg mitmachen müssten? Die Gemeinderäte von Hähnichen fühlten sich jedenfalls bei einer Sitzung in Quolsdorf am 13. September im Beisein von Rothenburger Räten eher vom forschen Auftreten der Nieskyer Oberbürgermeisterin vereinnahmt – oder eben von der Kutsche überfahren. Während die günstigen Förderrichtlinien eines gemeinsamen Förderantrages für eine gemeinsame Studie für Niesky stemmbar sind, würde auch der Eigenanteil eine Gemeinde wie Hähnichen in arge Bedrängnis bringen. Die Hähnichener Räte sprachen sich dagegen aus. Auf telefonische Anfrage beim Rothenburger Bürgermeister Philip Eichler hielt sich dieser am Mittwoch bedeckt.
Nach dem Stress um den Erhalt des Hochschulstandortes Rothenburg, der ihn viel Kraft gekostet habe, beschränkt sich Eichler darauf zu betonen, nun müssten erst einmal alle Beteiligten an einen Tisch kommen.
Dass nur Niesky Motor der Tetis-Debatte sein kann, steht sicher außer Frage. Dafür und auch für viele andere zentrale Entscheidungen möchte die Stadt nun einen Kommunalen Entwicklungsbeirat aus der Taufe heben, dem nach Informationen der Redaktion Menschen „aus allen Schichten“ angehören sollen und bei dem die Bundeszentrale für Politische Bildung ein Förderpartner ist. Das Zauberwort der „Zivilgesellschaft“ soll wieder vertrauensvolle Wirkung entfalten. Mitglieder sollen aus der Verwaltung, Wirtschaft oder dem Tourismus stammen, aber auch für Vertreter der anderen betroffenen Gemeinden wäre Platz.
In einem Porträt noch vor Uhlemanns Wahl schrieb der Niederschlesische Kurier: „Als Projektexpertin weiß sicher auch Kathrin Uhlemann, welche Macht der richtig ausgewählte Referent oder Moderator haben kann.“ Gleiches gilt natürlich auch für die Auswahl der Mitglieder im Entwicklungsbeirat, dessen Teilnehmer aus einer Steuerungsgruppe heraus gefunden werden.
Dieser gehören unter anderem Stadtrat Lars Beinlich (CDU), Mandy Baumann, die bei der Stadt die politische Gremienarbeit betreut, Weinhändlerin Beate Radisch, Stadtwerke-Geschäftsführer Holger Ludwig, eine 16-jährige Abiturientin, die an einem Beteiligungsprojekt von Schülern teilnahm, und SPD-Stadtrat Harald Prause-Kosubek an.
Letzterer betonte im Telefonat mit der Redaktion, dass dem Stadtrat Ende September letztlich 25 bis 30 Mitglieder vorgeschlagen werden würden, darunter mindestens auch einer für die Bürgerinitiative „Stopp Tetis“. Harald Prause-Kosubek hebt hervor, Kathrin Uhlemann selbst wolle dem Gremium nicht angehören, das den Stadträten Empfehlungen geben werde. Er räumt aber ein, dass man natürlich kein Gremium bilde, um dann doch nicht wirklich auf dieses zu hören. Damit kommt dem Stadtrat am 30. September eine hohe Verantwortung zu, die abschließende Liste genau zu studieren. Letztlich bewegt sich jeder „Beteiligungsprozess“ auf dem schmalen Grat, dass doch ein Stück der Kernkompetenz in der repräsentativen Demokratie von gewählten Vertretern abgetreten wird. Und so schwankt ein Teil der Bürgerschaft auch zwischen hoher Achtung für ein enormes Pensum der Oberbürgermeisterin, während das latente Gefühl des Zweifels gegenüber allen Politikebenen Nahrung findet, die Würfel seien auch hier durch geschickte Lenkung – nach außen kaum erkennbar – weitgehend gefallen. Eine Oberbürgermeisterin in der Defensive oder wenn man ihrem Tempo nicht folgt, kann grantig auftreten, hört man aus Kommunalpolitik und Gremien. Kathrin Uhlemann ist in jedem Falle eine weit vorausdenkende Planerin. Damit ist die Kutschenladung aber nicht zwangsläufig auch gesichert, Ying und Yang noch nicht im Lot.