Zum Abschied noch einmal Kanzler sein
Alteigentümer, Käufer und die den Deal anbahnende Politik mit Kanzler und Ministerpräsident auf einem Bild – vor der Alt- (Waggon) und Neuproduktion (Panzerfahrzeuge). Foto: Till Scholtz-Knobloch
Olaf Scholz war mit dem Hubschrauber gekommen. Während er in der Halle die Schönheit von Görlitz pries, führte sein Weg vom Flugplatz zu Alstom nur vorbei an Gewerbeflächen. Foto: M. Wehnert.
Die Görlitzer Waggonbaugeschichte geht nach 177 Jahren 2026 zu Ende. Der Rüstungskonzern KNDS übernimmt als neuer Investor den Standort. Zur Vertragsunterzeichnung kam Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch nach Görlitz.
Görlitz. Die Sicherheitsvorkehrungen waren wie bei einem ’echten’ Kanzlerbesuch. Denn Olaf Scholz ist Kanzler auf Abruf der gescheiterten Koalition. In Görlitz konnte er ohne die Begleitmusik des Wahlkampfes vielleicht letztmalig einen wirklichen Lenker spielen.
Scholz (SPD) und Landesvater Kretschmer (CDU) gerieren sich an diesem Tag nämlich als die gemeinsamen Möglichmacher für ein Auffangnetz im Strukturwandel der Region. Das Stillhalteabkommen gemeinsamer Vermarktung kommt aber auch optisch an diesem Tag zum Tragen.
Im Hintergrund der Halle sieht man noch unvollendete Doppelstockwagen, davor ein Panzerfahrzeug. Doch das Kriegsgerät ist hier als unser Freund aufgefahren. Kein Kanonenrohr ragt aus dem Stahlkoloss, vielmehr trägt es das Rote-Kreuz-Symbol und vermittelt den Eindruck vom gerechten Krieg, in dem nur die bemitleidenswerten Opfer aus der Schusslinie gebracht werden brauchen.
Olaf Scholz rühmt etwas steif die Schönheit Görliwoods und bleibt auch sonst hinter dem Redetalent Kretschmers zurück, der zu berichten weiß, dass schon sein Großvater hier an Waggons geschraubt habe, während man bis heute in aller Welt stolz auf Görlitzer Eisenbahnwaggons blicke, die dem Reisenden schon vor Jahren in die Ferne vorausgeeilt waren. Und so erfasst bei aller zelebrierter Feierlaune auch eine ungespielte Wehmut die Halle, dass Stahl hier bald für andere Zwecke am Haken hängen wird.
Alstom stellt also die Schienenfahrzeugproduktion hier ein und überlässt den Standort dem deutsch-französischen Rüstungskonzern KNDS. Es ist nun offiziell, dass der Fusionsnachfolgekonzern von Krauss-Maffei, Wegmann und Nexter sich in Görlitz auf die Herstellung von Baugruppen für militärische Fahrzeuge konzentrieren wird. KNDS plant nun Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe, um die Produktionskapazitäten für Wehrtechnik auszubauen. Es geht etwa um den Kampfpanzer Leopard 2, den Schützenpanzer Puma sowie Module für verschiedene Varianten des Radpanzers Boxer.
Erste Personalübernahmen und der Produktionsstart sind für 2025 vorgesehen. Von derzeit rund 700 Arbeitsplätzen sollen 350 bis 400 bei KNDS erhalten bleiben, lautet ein Versprechen. 75 Mitarbeiter könnten an anderen KNDS-Standorten zum Einsatz kommen.
Alstom plant zudem, etwa 100 Beschäftigten Jobangebote an anderen Unternehmensstandorten zu machen. Damit könnten immerhin rund 580 der bisherigen Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden – wenn auch nicht alle in Görlitz. Für verbleibende Arbeitnehmer kündigte Alstom eine sozialverträgliche Lösung an.
Dirk Schulze, IG Metall-Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen betont: „In einem ersten Schritt entstehen am Standort 350 Industriearbeitsplätze zu Tarifbedingungen. Ich bin sicher, dass wir sehr bald einen weiteren Beschäftigungsaufbau sehen werden.“ Die Kollegen in Görlitz hätten „ auch in schwierigen Zeiten und gegen viele Widrigkeiten herausragende Arbeit abgeliefert und sich mit aller Kraft für die Zukunft der Industrieproduktion in ihrem Werk eingesetzt. Sicherlich sind nicht alle glücklich über die Umstellung auf eine Fertigung von Wehrtechnik. Das kann ich verstehen. Unbestreitbar aber ist, dass wir – leider – in diesen Zeiten diese Produktion benötigen.“ Und so folgen auch aus der Politik an diesem Tag die ständig gleichen Textbausteine, etwa vonPutins Angriffskrieg. Hat es je einen Krieg in der Weltgeschichte ohne Angreifer gegeben? Michael Kretschmer beschört geradezu, Waffen seien „die Grundlage für alles“, denn nur sie ermöglichten Sicherheit. „Selbst ein Igel hat Stacheln“, weiß der Landesvater.
So ganz glatt ist aber doch nicht alles. So bemängelt die Gewerkschaft, dass Alstom sich nicht an bestehende Vereinbarungen halte, insbesondere den Zukunftstarifvertrag. Noch ausstehende Verhandlungen über Sozialpläne und Abfindungen sorgen so weiterhin für Unzufriedenheit. Hingegen verfolge KNDS eine starke Ausbildungsstrategie, sind sich am Mikrofon im Grunde alle einig.
Bis zum Frühjahr 2026 wird Alstom noch bestehende Aufträge für den Bau von Doppelstockwagen für Israel sowie Straßenbahnen für Göteborg und Magdeburg in Görlitz abwickeln. Danach endet die Ära des Waggonbaus in der Stadt. Allerdings bleibt Alstom weiterhin in Deutschland präsent, mit Schienenfahrzeugbau im nahen Bautzen, in Salzgitter sowie mit dem Service- und Digitalisierungszentren in Hennigsdorf bei Berlin. Statt 14 Standorten mit 9.600 Beschäftigten seien es künftig 13 mit 9.000 Mitarbeitern.
Aber war’s das nun für lange Zeit mit einem Kanzler der einst so stolzen Sozialdemokratie, die im Görlitz der letzten Zwischenkriegszeit einmal 5.000 Mitglieder zählte? Das Fähnchen der Genossen hält im Görlitzer Stadtrat der immer freudig strahlende Silvio Minner hoch, der auf diese Frage beim Verlassen der Halle dem Niederschlesischen Kurier sagt: „Auch Olaf Scholz hat ja schon eine große Aufholjagd erfolgreich hingelegt.“